Laudatio

Laudatio von Dominik Brun

An der Vernissage zu “Wir waren sieben” am 14. Oktober 2011 in Beckenried hielt Dominik Brun die Laudatio. Hier einige Ausschnitte:

(…) Für uns Leserinnen und Leser ist vom ersten Satz an klar, dass es sich bei der Ich-Erzählerin um Thea Uhr handelt. Trotzdem liebäugle ich mit dem Begriff „das erzählende Ich“. Da schreibt eine erfahrene Schriftstellerin aus fast achtzigjähriger Distanz und hält bescheiden und gleichzeitig souverän den nüchternen Ton bis zur letzten Zeile durch.
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(…) Mit dem Inhaltlichen meine ich den ganzen Komplex des Frommen, des Patriarchalischen und der Diaspora. In fast jedem Kapitel – die Autorin hat sie mit Titeln versehen – erfahren wir etwas von diesem – aus heutiger Sicht – bigotten Umfeld, das die zurückhaltende Ich-Erzählerin freilich nie so formuliert. – Auch dann nicht, wenn das freitägliche Fleischverbot wichtiger als das Überleben war, wenn die verängstigten Kinder während der langen Kriegszeit bei regelmässigem Fliegeralarm die Sorge um Nahrung und Brennholz am eigenen Leib verspürten und abends vor der Armeeküche mit einem Gefäss auf Übriggebliebenes warteten, mussten sie, wie wir S. 49 erfahren, jeweils am Freitag wegen möglicher Fleischstücke in der Militärsuppe den Kessel dem Pfarrer zeigen. Die versöhnliche Autorin kann später trotzdem schreiben (S. 83): „Ins Pfarrhaus ging ich gern.“

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Oder wenn wir reife Leserinnen und Leser im Abschnitt „Gelähmt“ die ersten Risse im metaphysischen Gebäude erkennen, wenn die kleine Ich-Erzählerin vorübergehend das Schicksal der gelähmten Mitschülerin selber tragen möchte, aber Jesus nichts von diesem Opfer wissen will.
(S. 27) „Ich wartete, aber das Aufstehen gelang mir jeden Morgen, ich konnte aus dem Bett hüpfen, und die Beine wurden mir nicht schwer und schmerzten auch nicht, mein ehrliches Angebot wurde nicht angenommen.“
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Die kleinen Ängste beginnen zu wachsen und entwickeln sich zu Existenz-Ängsten, wie zahlreiche schlichte Bilder zeigen, z.B. der Verlust des Spielplatzes im eigenen Garten wegen einer Ordensschwester. (S. 10) „Mama erzählte es abends dem müden Vater, aber mit einer Klosterfrau wollte er keinen Streit. Ich hatte meinen Spielplatz verloren.“

Gegen diese Unbill der Zeit entwickelt das erzählende Ich ein Überlebensprogramm: es will alles können und selbständig werden.
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Als während des Weltkriegs alles rationiert war, erwachte in der kleinen Sek.schülerin die sozial denkende Dichterin. (S. 47) „Ich schrieb der Schwester Oberin im Namen des Bundesrates, dass ab sofort auch die Klausuren rationiert werden müssten, im Monat nur noch je eine Prüfung pro Fach.“
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Zusammenfassend nochmals: Die Autorin führt uns nicht etwa aufs Land, sondern in die Diaspora einer Stadt, wo alles Sinnliche verpönt ist (ich erinnere an den frommen, strengen Vater und die Verwandten), in einen Sündenpfuhl, wo aber das seriöse Kind eher Probleme hat, weil es eigentlich nichts zu beichten hat. Und existenzielle Fragen wie „Wozu sind wir auf Erden“ bekommt das brav auswendig lernende Kind im „Kanisi“ leicht beantwortet. (S. 81) Hingegen wird es nicht beantwortet bekommen und weiterhin staunen, dass in der Nachbarschaft ein Mensch erschossen wird, nur weil sie, die Nachbarin, in gewissen Häusern verkehrte. (S.98) „Ich dachte: Man wird doch nicht erschossen, bloss weil man einen Besuch macht.“

Zum Schluss ein Vorschlag für eine Korrektur: Eigentlich müsste mit der heutigen Vernissage der Titel in die Gegenwart übersetzt werden. Die treuen Leserinnen und Leser werden sich an Theas bisherige Werktitel erinnern: Nicht mehr „Es waren sieben, sondern es sind sieben, (2011) die mit „filigranen (1997) „Jahrschnüren“ (1990) einen scheuen „Windvogel“ (1987) im „Mosaik“ (2006) eines friedlichen „Innenhofs“ (2002) gebunden halten und gleichzeitig träumen von einem Fluss, der sich im „Hinüberland“ (2009) als „Mäander“ (1994) mit dem unendlichen Meer verbindet.