Von „Moses“ und gelben Bohnen
von Thea Uhr
Die Ländereien des Klosters bewirtschaftete ein Pächter. Von seinem Hof bezog das Internat die benötigte Milch – und verwässert war die nicht! Vielleicht musste hier die Rationierung nicht so streng beachtet werden. Mit dem Brot war es genau so: Jede von uns erhielt morgens ein Brötchen von 250 Gramm zugeteilt, das musste für das Morgenessen und die Vesper reichen. Wer von daheim Konfitüre bekam, konnte sich die Brotschnitten versüssen. Mit Kaffee war auch mein Brot in Ordnung. Nach Vorschrift der Regierung musste das Brot 48 Stunden alt sein, da schlinge man es nicht so rasch hinunter. „Ihr müsst das Brot genügend kauen!“ Die Schwester zählte das Mahlwerk ihrer Zähne immer 30mal, erst dann wurde hinuntergeschluckt.
Der grosse Klostergarten lieferte Gemüse und Salat, vor allem Salat. Die Präfektin, die, wenn man neben ihr sitzen musste, gerne von ihrem Neffen in Amerika erzählte, brauchte sehr häufig das Wort: „allemal“. Und so hiess es öfter: „Ihr müsst allemal viel Salat essen, das ist gesund.“ Was ich dabei allerdings nicht liebte, war die Fleischbeilage zwischen den grünen Blättern, kleine Schnecken und Würmer wurden beim Rüsten der grossen Mengen oft übersehen. Ich musste immer jedes Blatt gründlich kontrollieren, bevor es mir zwischen die Zähne kam. Entdeckte ich nur ein unschuldiges Würmchen, war mein Appetit auf Grünkost allemal augenblicklich weg.
Mit Fleischspeisen wurden wir nicht verwöhnt. Es gab regelmässig Hackfleisch, Lebern, Kutteln, Zunge, auch Herz und Lunge als das Non plus Ultra. Aber jeden Sonntag gab es für alle eine ganze Bratwurst, mit Zwiebeln natürlich!
Am oberen Tischende schöpfte Schwester Johanna aus dem grossen Kessel. Die Teller wurden von Hand zu Hand weitergereicht. Wer ein Stücklein Brot in den Teller legte, signalisierte: Ich will nur eine kleine Portion.
An jenem Abend gab es gelbe Bohnen vom Vortag. In meinem Teller lag kein Brot, also erhielt ich eine reichliche Portion des Gemüses. Am Morgen erwachte ich mit Magenbeschwerden, musste erbrechen. Deshalb entschuldigte ich auf der Präfektur mein Fehlen beim Morgengebet. Schwester Johanna, selber leidend, sagte bekümmert: „Also hat es dich auch erwischt. Geh hinauf zur Krankenschwester!“
Dort erhielt ich ein Cachee, Kohlepulver in eine Oblate verpackt. Bis zum Abend erholten sich alle Bohnenesser. Aber auf gelbe Dinger mit säuerlichem Geschmack verzichtete ich fortan.
Kartoffeln waren im Menuplan reichlich vertreten. Zwar nicht knusprig gebraten, wie wir sie ersehnten. Nein, wir nannten die leicht salzigen Klösse „Moses“. Moses, so hatten wir gelernt, heisse: Der aus dem Wasser gezogene. Und aus dem Wasser gezogen waren sie allemal.
Ginette hatte am Mittagstisch immer einen kleinen Papiersack bei sich. Vom Essen, das ihr nicht behagte, wurde der Löwenanteil in der Tüte entsorgt und beim Spaziergang an einer günstigen Stelle den Vögeln überlassen. Erwischt wurde sie nie.
Reis- und Brotauflauf, Früchtekuchen, gebrühte Kugeln, gedämpfte Tomaten, gefüllt mit Rührei, das gab es nur daheim. Von Vaters Linzertorten an Festtagen ganz zu schweigen!
Aber es war Krieg, wir bekamen im Internat genug zu essen, das war in jenen Jahren, wenigstens in den Ländern ringsum, nicht selbstverständlich.