Die Innenseite der Sensibilität
Von Pirmin Meier
Zur Lyrik von Thea Uhr
Hungacher 1a, die Wohnheimat von Thea Uhr, liegt unweit der einstigen Wohnstätte der Dichterin Isabella Kaiser (1866 – 1925). Diese war, ein Wunderkind aus gutem Hause, zwischen dem deutschen und französischen Sprachraum schwebend, der erste literarische Star weiblichen Geschlechts, den die Schweiz hervorgebracht hat. Ihr gehobener, an eine Vestalin der Antike erinnernde Lebensstil gipfelte am Endes ihres Daseins in der Stiftung des eigenen Denkmals.
Ein Ersatz dafür, dass ihr Werk mit ihrem Hinschied mitgestorben schien. Zwischenzeitlich scheint der verblasste Ruhm von Isabella Kaiser durch den posthumen Glanz der genialischen, exzentrischen und unerhört vielseitigen Künstlerin Annemarie von Matt (1905 – 1967) aus Stans abgelöst,. Zwei hellsprühende Weihnachtssterne in der Literaturgeschichte Nidwaldens und der Schweiz. Innerschweizer Beispiele für die ambivalente Geschichte des Ruhms in der Kunst.
Von Glamour dieser aufregenden Sorte ist bei Thea Uhr, geboren am 5. September 1927 zehn Minuten vor fünf, nichts zu spüren. Ihr Auftreten war weder ein gesellschaftliches Ereignis noch hat sie sich je als Original exponiert. Es gab und gibt in ihrem Leben keine Skandale, und so, wie es früher für eine Tochter aus einfacher Familie schwierig war, ins Kloster aufgenommen zu werden, schaffte die schreibende Lehrerin und Hausfrau die Aufnahme in die Gruppe Olten erst im zweiten Anlauf. Für den einstigen linksoppositionellen Schweizer Schriftstellerverband, bei dem wertkonservative Autoren wie Julian Dillier und Toni Schaller Mitglied werden konnten, galt ihre publizistische Tätigkeit zunächst weder als genügend professionell noch als hinreichend vielgelesen.
Es war für sie wohl eher eine Hypothek, vom Priesterdichter Dr. phil. Bruno Stefan Schärer (*geboren 1929) entdeckt worden zu sein. In dessen Frühlingsanthologie Schlehdorn hatte Thea Uhr Gedichte publiziert, und auch im lesenswerten Lexikon der Innerschweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller (1977), das der Benediktinerpater verfasst hatte, fand sie mit einer Textprobe Eingang.
Ihr erster Gedichtband Windvogel erschien 1987 im Cantina-Verlag Goldau, dem von Innerschweizer Autoren damals gerne genutzten Kleinverlag. Es folgten, in zunehmend schönerer Aufmachung, bei Roland Gröbli Jahresschnüre (Stans, 1990), bei Martin von Matt Mäander (mit schönen Fotografien von Franz Troxler), Filigran (1197), Innenhof (2002) und Mosaik (2006). Weitere Gedichte und Prosatexte der Autorin sind in Anthologien auffindbar.
(…) Auf der Rückseite der Gedanken, bekennt sie, sei ihr das Auflesen von Worten verblieben. Diese werden seit bald dreissig Jahren in Gedichtbänden gesammelt. Schon die Achtjährige schrieb Verse.
(…) Die Verse von Thea Uhr inszenieren keinen Ton. Mit ihren Luftfüssen weder trompetend noch pfeifend, sind sie sparsam genug gehalten, dass in der Regel hier weiter nichts zu kürzen übrigbleibt. Auch darum hat sie unverdrossen weitergedichtet.
(…) Erzählen und Verstummen. Das ist der Uebergang von der Prosa zur Lyrik bis an die Grenzen einer Kunst, bei welcher der Autor zum Leser seiner selbst wird, zum Chronisten der Innenseite seiner Sensibilität. Die Gedichte von Thea Uhr sind eine Einübung ins Verstummen und insofern ein Zeichen gegen den Lärm. Solche Lyrik hat gegenüber anderen Sparten, etwa elektronisch verstärkter Musik, einen Nachteil in der Wahrnehmung. Ein Konzert für Fledermäuse klingt so hoch und fein, das es gerade noch für Genossen der gleichen Gattung hörbar bleibt. Was kein menschliches Ort zu hören vermag, der Leser oder die Leserin werden es auf dem Blatt, worauf die Notenschrift des Kunstwerks komponiert wurde, nicht übersehen.