Noch mehr Gedichte

Ausgewählte Gedichte von Thea Uhr

 

Abschied ist leicht

Denn wenn ich gehe
bleibt mein Seelenvogel
und spürt die Fährte auf
die uns bezeugt

(aus: “Windvogel” 1987)

 

Ich habe Löcher
in die Nacht
geschrien

Schlüpft wohl
ein Echowort
durch
das offene Rund?

(aus “Windvogel” 1987)

 

Sommersonnenseide
hab ich mir aufgespart

Web einen Teppich
für die Winternächte
rotgoldengelb und weich –
und schmieg mich ein

(aus “Windvogel” 1987)

Meine Tage

Meine Tage sind Schnüre des Entsetzens
und jede Stunde trägt die Knoten der Angst

So wird kein Festkleid gegürtet –
nachgeschleppte Ketten singen kein Lied

Und doch versuche ich Schritt um Schritt
im Niemandsland ohne Mensch und Laut

Vielleicht löst einer einst die Knoten auf!

(aus “Windvogel 1987)

 

Meine Luftfüsse
schwerelos
finden den Weg

Ein Atembogen
genügt

Ich gehe dir
unter die Haut

Die runde Zeit
bleibt stehen

Die Stille eint

(Aus “Jahrschnüre” 1990)

 


Am San Giorgio

Ein Vogelton
zerbricht
den Stein

Erlöster Farn
erinnert
die Aeonen

Unser Urteil
kommt immer
zu früh

(Aus “Jahrschnüre” 1990)

 

Du wirst es
nicht wehren
am Rande
der Nacht

Dass ich
ohne Laut
deine Träume
bewohne

(Aus “Jahrschnüre” 1990)

Im Stummgang

Tröstungen
selten geworden
im Stummgang
zwischen Mauern
aus Menschengesichtern

Zwischen Blinden
Gehetzten und
Armen im Geist

Zwischen
mithungrig Wartenden
auf jedem Weg

(Aus “Innenhof” 2002)

 

Fresko

Den Aposteln
gab man
die Gesichter zurück

Sie blicken
erstaunt

Erlöst von
Tünche und Staub
erproben sie
unser Licht

Tausend Jahre
unter dem Weiss
doch niemals blind

Ihr Credo
leuchtet rot
wie Wein
zum Abendmahl

(aus “Innenhof” 2002)

 


Verschwiegen

Sag dein Geheimnis
einem grossen Stein

Die kleinen Kiesel
sind mir
zu geschwätzig

Nur einem grossen
weissen Stein
der seinen Grund
befriedet hat
und ruht

Und dem die Muster
eingegraben sind
schwarze Mäander
ferner Sternenwege

Er birgt die Ruhe
aus dem dunklen Einst
und schweigt
Vormenschenworte
in sich ein

(aus “Innenhof” 2009)

 


Wenn Kinder gehen

Die Kinder gehen
aus deinen Türen

Die Wände friern
nun leicht

Du streichelst
die Katze
und rückst den Stuhl

Horchst lange
hinaus

Am verlassenen Tisch
schneidest du Brot

Schneidest du
Brot…

(Aus “Filigran”, 1997)


Grenzen

Der Bach ist hier Grenze
am Wegrand ein Stein

Jenseits
das andere Land

Drei Schritte hinüber
ich hab sie getan

Nichts Fremdes
hat mich berührt

Das gleiche Wasser

Das gleiche Gras

Das gleiche fröhliche Lied

(Aus “Filigran”, 1997)


Ufer

Das Fremde
legt an

Aus Nebelbooten
hebt es
die Flügelhand
nach sicheren Ufern
die lautlos
zerbröckeln

(Aus “Mosaik”, 2006)

 


Erinnerung 1.9.1939

Nicht Vaters Art
übern Zaun zu steigen

Nachbars Radio ruft
Vater hört mit

Kommt später
zurück

Geht langsam
fremden Gartenweg
zu unserm Tor
zu uns ins Haus

Es eilt nicht
mehr

Es ist Krieg

(Aus “Mosaik” 2006)

 

Mauerhäute

Keine Häuser
die mich rufen

Kurzaufenthalter
bin ich seit je

Die Mauerhäute
wuchsen nicht
zu mir hin

Kalt frierend
mit mir
wurden sie grau

Kein Rankenblatt
hielt

Aber nun grünt es
von überall her

(Aus “Mosaik” 2006)

Sehnsucht

Mohnfarbene
Sehnsucht
zwischen
alltäglichem Korn

Schwebendes Leuchten
im Vorregendunst

Tröstlicher Widerschein

Niemals verblasst

(Aus: “Mosaik”, 2006)


Glück

Du weisst:

Nur die Augenblicke
mit dem
Sonnensaum
die ein
Ankommen
umschliessen

Nur diese
zählen

(Aus “Mosaik”, 2006)