Blandinas Teufel
von Thea Uhr
Es ist also entschieden, eine Klosterfrau werd’ ich. Die Zwölfjährige grübelte nicht lange. Ob der Vater ihr befahl oder schon bald eine Schwester, das würde nicht viel Unterschied machen. Aber weg vom eigenen Dorf, von Spiel und Spass, von Bach und See! Das Rain-Miggi ist auch schon bei einer Herrschaft, und das Trülli-Anna geht nächste Woche fort. Ja, Martha werde in der Mägdekammer ihr eigenes Bett und eine eigene Wäschetruhe erhalten, das stand im Brief.
„Deine Sachen kannst du selber bündeln“, meinte der Vater, aber er steckte ihr doch vier neue Taschentücher zu. Das kleine Gebetbuch der verstorbenen Mutter versorgte Martha zwischen die Wäsche, das gehörte ihr. – „Die Botin nimmt dich und deinen Korb mit, sie hat ja den Handwagen.“
Mit dem zügigen Schritt der Botin konnte Martha kaum mithalten. Deren langer weiter Rock wippte und wischte über den trockenen Weg. Im aufgewirbelten Staub hustete Martha ihren kleinen Abschiedsschmerz fort.
Schwester Egidia, Marthas Tante, führte sie von der Klosterpforte zur Frau Mutter. „Du wirst vorläufig überall helfen, rüsten kannst du doch? Und gehorchen auch? Geh jetzt mit Gott!“
Die Küchenschwester betete: „10 000mal Verzeihung, nimm den Topf vom Feuer, heiligstes Herz Jesu. 20 000mal – schau zum Holz! – Verzeihung, heiligstes Herz Jesu. 30 000mal Verzeihung, heiligstes – bring mir die grosse Schere – Herz Jesu.
Reden durfte man als Mägdlein nicht, nur deuten. Die Schwester hatte Angst vor dem Fegfeuer, darum brauchte sie die grossen Zahlen, aber sie schrie und schimpfte nicht.
„Als Novizin musst du einfach gehorchen, nichts fragen“, erklärte Schwester Scholastika im Garten. – „Ich musste einmal Setzlinge verkehrt herum in den Boden stecken, das war eine Prüfung von Demut und Gehorsam, ich habe sie bestanden. – Wir gehorchen der Oberin, und die Oberin gehorcht Gott, so einfach ist das.
Alles zur grösseren Ehre Gottes, auch das Jäten, gell. Und wenn’s läutet, sofort alles liegen lassen, wie jetzt, es gibt Zvieri.“ Schwester Scholastika war lieb.
Cäcilia, die Krankenschwester aber war eine böse Frau. An jenem Tag ging Martha mit grosser Angst zu ihr. Sie krümmte sich vor unerklärlichen Schmerzen. – „Ich blute“, hatte sie gestöhnt. – “Der Fluch Evas, kennst das noch nicht? – Nimm dich zusammen, wir sind hier nicht in einem Pariser Modesalon!“ Martha schämte sich klein.
Die Schwester steckte dem Mädchen ungerührt ein Caché hin, Kohlepulver, verpackt in eine Oblate, Schwester Cäcilias Allheilmittel, wie Martha noch erfahren sollte.
Schwester Scholastika verstand. „Das sind Krämpfe, du hast halt deine Tage; leg dich eine Stunde hin, aber sag es niemandem!“
Vom Klosterhügel aus konnte man den Kirchturm ihres Dorfes sehen, doch unten im Garten waren ringsum Mauern. Ob sie für Weihnachten heimgehen dürfe, fragte Martha. –„Jetzt bist du noch nicht ein ganzes Jahr da und hast schon Heimweh. Wenn du einmal den Habit trägst, kommst du nie mehr hinaus.“
Daheim fluchte Vater, kein Geld und kein Schnaps im Haus. Martha staunte: Ihr Bett war verschwunden, es gab keinen Platz mehr für sie, nur den alten Laubsack aus der Kammer. Und worüber sollten sie reden? Die Tochter kehrte nach Neujahr gerne ins Kloster zurück. Sie gewöhnte sich an Mauern, an frühes Aufstehen, wenig Freizeit und lange Sonntagspredigten.
Die anderen Mägde behandelten Martha mit einem gewissen Respekt, schliesslich war ihre Tante zur Frau Helfmutter gewählt worden. Und weil das Mädchen eine helle Stimme hatte, durfte es bald im Chor der Schwestern mitsingen. Wie schön war das Brausen der Orgel! Und Martha würde Klosterfrau werden, sie gehörte hier schon jetzt dazu!
Ein Jahr später, während Marthas zweitem Besuch daheim, starb ihre Tante an einem Schlaganfall. Fortan hörten Vaters Klosterbesuche auf. – „Du bist ja versorgt“, hatte er beim Abschied nach der Beerdigung festgestellt. Martha sah ihn nie wieder.
Nun war sie allein. Schwester Egidia hatte sich zwar wenig um sie gekümmert, private Kontakte schätzte man im Kloster nicht, zudem gehörte Martha in die Gesindestube. Aber sicher hatte die Tante sich regelmässig über ihr Verhalten orientieren lassen und für ihre Nichte gebetet.
„Du hast Gott“, hatte Schwester Scholastika in ihre Tränen hinein gesagt und ihr den Rechen in die Hand gedrückt.
Gott, Kyrie, Weihrauch und Rosenkranz. Gott war in der Kirche, aber Martha sah und spürte ihn nicht.
„Betest du auch genug?“ fragte der Beichtvater. – „Genug? Beim Rüsten denke ich ans Messer und die Kartoffeln, beim Jäten ans Unkraut und den Rücken, vor dem Essen an den Hunger – ich bete in der Kirche, am Morgen und vor dem Schlafengehen, beim Angelus und bei Tisch, genügt das nicht?“ – Sie ist noch ein Kind, dachte Pater Bonifaz. „Bete drei Ave und bitte Gott um seine Hilfe.“
Die Schwestern sprachen von der bösen Welt draussen, für die man beten müsse. Schwester Apollonia müsste man hinausschicken, ging es Martha durch den Kopf. Weil sie heimlich den Messwein des Bischofs trinkt, muss sie lügen und andere plagen. Vielleicht liebt Gott diese Schwester auch, ich will sie aber nicht in mein Gebet einschliessen.
„Du musst für alle in der Klosterfamilie beten.“ – Der Pater sagte es ganz ernst und streng. Aber der wurde nicht gepufft und ans heisse Weihrauchfass gestossen. Der wurde nicht ständig bei der Frau Mutter verklagt.
Was war so schlecht in der Welt? – Die Magd Vreni kam mit roten Backen von der Kilbi zurück. „Der Kniri-Paul hat mich geküsst, ganz richtig, auf den Mund. Ich heirate ihn sicher bald. Lieb ist der, du hast ja keine Ahnung!“
Nein, das hatte Martha wirklich nicht. Ob beim Küssen die „böse Freude“ entstand, von der Pater Bonifaz in der Predigt so eindringlich warnte? Die Nonnen waren doch auch nicht immer nur ernst. An der Fasnacht gab es lustige Sprüche und Spiele, das war fein. – „Freude ist nicht schlecht“, so hatte der Beichtvater ihre Frage beantwortet. „Freue dich an den Blumen und Kätzlein, am Tagewerk und am feierlichen Gottesdienst. Aber hüte immer deine Augen und deine Zunge.“
Vor Ostern hatte die Frau Mutter sie rufen lassen. Martha sollte Postulantin werden- – „Du wirst bald sechzehn, darum ist es jetzt Zeit für dich, die nähere Vorbereitung zum geistlichen Leben anzufangen.“ – Postulantin, also keine kleine Magd mehr. Sie sollte eine Zelle im Kloster beziehen dürfen. Ein dunkles Gewand, Neues lernen, eine eigene Zelle!
Das Tagewerk blieb sich gleich, aber Martha nahm nun auch am Chorgebet der Schwestern teil. Sie bekam das abgenützt Brevier ihrer Tante. Die Postulantinnen lernten lateinisch zu psalmodieren, aber sie verstanden nur wenige Wörter der Kirchensprache. Wichtig sei die Andacht, und Gott verstehe alles.
Schwester Gerda, der Meisterin, schuldete man unbedingten Gehorsam. Pünktlichkeit und Fleiss bei allen Verrichtungen seien selbstverständlich. Die Zelle müsse peinlich sauber gehalten werden. Ihre Leibwäsche musste jede im kalten, gegen den Garten offenen Kreuzgang selber waschen. Auch das Wasser war kalt.
Marthas Hände wurden rissig, die Schrunden schmerzten. Abtötung war das, Schwester Gerda liebte dieses Wort. Deshalb musste man auch die vielen Flöhe im Geiste der Busse ertragen lernen, diese Tierchen genossen seit undenklicher Zeit Hausrecht und Nonnenblut, da half kein Putzen! Sprangen die Plagegeister auch auf des Paters Kutte? Juckte es den Bonifaz auch? – Opfer brachten eine Postulantin näher zu Gott. Gott spüren? Dafür wollte Martha gerne Verzicht und Abtötung üben, zum Beispiel in der freiwilligen Nachtwache vor der Monstranz in der Kirche.
„Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel so.. Au!“ – Martha unterdrückte den Schrei. War sie eingenickt? Apollonias Kutte rauschte an ihr vorüber. Die lange Nadel blitzte kurz im Kerzenschein auf, bevor die Schwester sie in ihre tiefe Tasche gleiten liess. – Sie ist eine Hexe, schoss es der Gepeinigten durch den Kopf. – In ihrer Zelle dachte Martha betrübt: Die Hexe muss ich beichten, aber schon im nächsten Augenblick schlief sie tief.
Neuigkeiten vom Dorf und der Welt ennet den Mauern vernahmen die Schwestern im Sprechzimmer. Manche Frauen aus den noblen Geschlechtern des Städtchens liebten die Besuche im Kloster. Sie fanden hier stets aufmerksame und dankbare Zuhörerinnen, die auch etwas Klatsch erstaunlich gut ertrugen. Die Predigt des jungen Kaplans in der Pfarrkirche musste kommentiert werden, ein Todesfall wegen Kindbettfieber, die Teuerung, unchristliche Menschen und die schlechten Zeiten. – Auch für das Kloster war vieles teurer geworden, die Steuern stiegen an. Massvoll gefiltert erklärte die Frau Mutter etwas vom Geschehen draussen in der Welt. Martha hörte dem zwar brav zu, aber das Vorgetragene war ganz ausserhalb ihres Alltags. Sie arbeitete in Küche und Garten und fegte die Böden im Klostergang. Sie hatte genügend zu essen und freute sich am Abend auf die Ruhe in ihrer Zelle.
An Pfingsten wird meine Einkleidung sein! Martha freute sich. Sie würde den braunen Habit, den weissen Schleier und den Klosternamen erhalten. „Am liebsten möchte ich Schwester Mechtildis heissen“, hatte sie Schwester Scholastika zugeflüstert. Nicht leise genug, Schwester Apollonia hatte es gehört. – „Es ist nicht gut, den jungen Schwestern jeden Wunsch zu erfüllen“, meinte sie. – „Man sollte an spätere Zeiten denken und zur besseren Unterscheidung in der Klosterchronik auch einmal neue Namen wählen. Unsere liebe Schwester Mechtildis ist doch erst sechs Jahre tot….Und etwas mehr Demut schadet der Martha nicht.“
Am Festtag erhielten die zwei anderen Neuen viel Besuch, zu Martha kam nur eine entfernte Base, die das Festmahl sichtlich genoss. – „Blandina heisst du jetzt, ein seltsamer Name.“
„Ich heisse Schwester Maria Augusta Blandina“, berichtigte Martha, „aber das ist zu lang. Und weil es noch eine Schwester Maria Augustina gibt, wird man mich Blandina nennen, so hat Frau Mutter es mir erklärt.“
Vom grossen Fest blieb bei der jungen Schwester ein Schmerz zurück, den sie nicht ganz verstand. Sie schritt nun meistens gemessen und mit gesenktem Kopf durch die Gänge, sie hielt das geforderte Schweigen ein, sie bekannte bei der „Schuld“ – im Refektorium auf dem Boden liegend – vor allen Mitschwestern
ihre kleinen Verfehlungen; wenn sie blutete, bat sie, wie alle andern, die Oberin um die Erlaubnis, keinen Salat essen zu müssen; sie betete, sie putzte, aber sie fühlte sich fremd. In einen neuen Namen schlüpft man nicht so leicht wie in ein neues Kleid, besonders nicht in einen ungeliebten. Es hiess gut aufpassen, mit Schwester Blandina war immer sie, die Martha, gemeint.
„Schwester Blandina, euer Saum ist schmutzig!“ krächzte die Krankenschwester hocherfreut, als Blandina vom Garten her zur Rekreation auf den Platz keuchte. „Und der Schleier ist ihr auch wieder verrutscht“, stichelte Apollonia.
Warum bin ich hier, die wollen mich ja gar nicht. – Frau Mutter lächelte ihr zu, aber was half das schon? – „Eine grosse Mitgift verschafft auch im Kloster weichere Polster“, hatte die lustige Pförtnerin ihr einmal anvertraut.
Die Monate reihten sich eintönig aneinander wie die Perlen des Rosenkranzes.
Der Novizenmeisterin entging nichts. Man musste mit ihr auch über seine Schwierigkeiten sprechen.
„Schläfst du nicht gut?“, fragte sie, nachdem Blandina mehrmals frühzeitig aus der Messe geflohen war. Doch gegen ihre Schlafstörungen halfen die Cachés der Cäcilia nichts. Blandina schleppte sich nachts nur öfter hinaus zum stillen Oertchen.
Am Feste Himmelfahrt sollten die drei Novizinnen ihre ersten Gelübde ablegen. In Blandina gab es keine Zweifel, sie lebte jetzt schon so lange in der klösterlichen Umgebung, dass sie gar keinen andern Lebensweg hätte in Betracht ziehen können. Nach den zeitlichen Gelübden würde sie 1847 die ewigen Gelübde ablegen und dann für immer an den Orden und dieses Kloster gebunden sein.
Die Gelübde bereiteten ihr keinen Kummer. – Armut? Ausserhalb des Klosters hätte sie vermutlich ärmlicher leben müssen. Keuschheit? Sie schützte vor Unbekanntem. Gehorsam? Wir gehorchen den Oberen, und die Oberen gehorchen Gott.
Diesmal war die Base nicht mehr erschienen. Frau Ratsherr von Matt hatte das Amt der geistlichen Mutter übernommen und ihr das Buch „Die Nachfolge Christi“ und Leibwäsche geschenkt. Sie war freundlich gewesen, hatte aber mehr mit der Frau Mutter geredet, welche sie gut zu kennen schien, als mit ihr, der schüchternen Neuprofessin.
Mit dem neuen Kreuz für die Zelle hatte die Novizenmeisterin Blandina noch einen anderen Gegenstand überreicht. Davon gemunkelt hatten die Neuen der letzten Jahre schon länger, und dass Blandina damals ihre Andeutungen nicht verstand, liess die jungen Nonnen überlegen lächeln. – „Wirst schon sehen, staunen wirst du!“ Dann Gekicher, das beim Herannahen einer älteren Schwester sofort verstummte.
„Wir benutzen diesen Gegenstand freitags beim Miserere. In deiner Zelle sollst du Mass halten damit. Jede Uebertreibung ist ungesund.“ Eine Geissel, um Busse zu tun! Sich Schmerz zufügen, aber nicht übertreiben.“ Blandina war überrascht. Hatte Schwester Gerda beim Wort Abtötung auch an die Geissel gedacht?
Warum wurde vor den ersten Gelübden ein solches Geheimnis daraus gemacht? Und wer hat meine Geissel vor mir gebraucht?
Der Freitag kam. Für die Dauer des Psalms „Miserere“ wurden die Lichter gelöscht. Kleider raschelten. Ruten klatschten auf nackte Haut. Blandina empfand grossen Ekel.
Schwester Gerda kam vom Sprechzimmer zurück. „Sie haben den Leu von Ebersol ermordet. Er wird schon jetzt wie ein Heiliger verehrt!“ – Wir haben auch einen Heiligen, unser Sankt Prosper sollte vom Volk stärker verehrt werden. Eine Wallfahrt hierher würde der Stadt und dem Kloster mehr Ansehen verschaffen. Wir sollten den Himmel dafür bestürmen!“
Blandina arbeitete jetzt abwechslungsweise im Garten und im Waschhaus. Strenge Arbeit war das; bei so vielen alten Schwestern konnte man die jungen nicht schonen.
„Arbeit hält von dummen Gedanken ab“, das verkündete Schwester Gerda immer wieder.
Blandina fand wenig Schlaf, sie litt immer wieder unter starkem Kopfweh. Wenn sie sich auf Anraten einer wohlmeinenden Schwester sich aufraffte, in die Krankenstube zu gehen, erhielt die Leidende zwei Cachés und den lieblosen Rat: „Nehmt Euch nicht so wichtig!“
Im Spätherbst erwachte sie nachts einmal in der Sakristei und wusste nicht, wie sie dorthin geraten war. Ein andermal fand Blandina sich im Waschhaus wieder, steif und kurze Zeit unfähig, sich zu bewegen. Todesangst ergriff sie. Was geschieht mit mir? Sie schleppte sich zitternd und unbemerkt in ihre Zelle zurück.
Während der Menses litt sie unter starken Krämpfen und verlor immer viel Blut. – „Simulantin“, brummte die Krankenschwester. Oft, wenn Blandina Wäsche rieb oder Salat setzte, stand die Hexe plötzlich hinter ihr. Die junge Schwester fühlte sich bald einmal überwacht und verfolgt. Schon bei kleinen Geräuschen schaute sie nervös nach hinten, ob ihre Widersacherin sie wieder beobachte.
Denn deren argwöhnische Blicke trafen Blandina auch im Refektorium, wo Schwester Cäcilia ihr gegenüber sass. – „Heikel geworden?“ fragte sie schnippisch, wenn Blandina nicht essen mochte. Der Beichtvater empfahl Demut und Gebet.
Ob ihr leerer Magen zu jenen schrecklichen Krämpfen führte, die sie dann doch ins Krankenbett brachten? Frau Mutter machte sich Sorgen und bestellte den Arzt. Die Krankenschwester würzte die verordnete Behandlung mit bissigen Bemerkungen; Blandina war ihr ausgeliefert und wurde nicht gesund. Sie sehnte sich hinaus zu den Gemüsebeeten und den Kücken. Wände wie ein drückendes Korsett um sie herum und der giftige Atem der böswilligen Nonne!
Die Oberin liess nun einen Arzt aus der Stadt kommen. Er sprach von nervösen Beschwerden und verordnete viel Schlaf und Baldrian zum Beruhigen. Später kam der Krankenpater zu Blandina.
Er legte seine Hand auf ihre Stirne und spendete ihr einen besonderen Segen. Lange hielt er ihre zitternde Hand und sprach ihr Mut zu. Die junge Schwester spürte: Dieser Mensch meint es gut mit mir. – Sie fühlte sich sofort besser. Nach einer Stunde stand sie auf und schien wieder vollständig gesund. Nach der Vesper fand man sie beim Ausmisten im Hühnerstall. „Der Segen des guten Paters hat gewirkt, das ist ein Wunder!“ rief die junge Priscilla in der
Rekreation. – „Wir haben heute ein Wunder erlebt“, flüsterte Schwester Gerda im Sprechzimmer der Frau Oberlehrer zu. Dieses Flüstern rieselte noch vor dem Betläuten durch alle Gassen. Es strömten Leute zur Klosterkirche, um die Begnadete zu sehen. Und zwei besondere Nonnenseelen dachten sich ihr Kloster als grossen Wallfahrtsort. Sie blieben nicht untätig: Noch ein Wunder – und wir sind soweit!
Kurz nach Neujahr 1848 fing es an: Als Blandina an einem Abend in ihre Zelle zurückkam, lagen alle ihre Kleider auf dem Boden, sogar das Kruzifix war von der Wand herunter gerissen worden. Blandina schrie. Die Herbeigeeilten fanden auch die Scheiben eingeschlagen; die junge Schwester lag über dem Bett und schluchzte laut. Cäcilia und Apollonia sprachen hinter vorgehaltener Hand von Teufelswerk, der Satan sei auf die Begnadete eifersüchtig und wolle ihr durch diesen Spuk schaden. – „Der Teufel war’s“, plapperten einige nach. Die Oberin erliess eine Schweigegebot. Pater Bonifaz zweifelte: Satan soll hier höchstpersönlich an der Arbeit gewesen sein? Blandina wusste, wer hier gewirkt hatte, aber wer hätte ihr geglaubt? Es war ihr sehr weh zumute, aber sie fühlte auch Wut und Trotz in sich. Armer Bonifaz: Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ich muss etwas tun, dachte er und entschied, dass Blandina eine andere Zelle beziehen solle und zu ihrem und des Klosters Schutz unter ständige Aufsicht zu stellen sei.
Die Krankenschwester und Schwester Apollonia wechselten sich in diesem Amte ab. Sie reichten ihr speziell zubereiteten bitteren Tee. Was mischen sie mir da hinein? Die Geplagte bekam starke Krämpfe, in der Waschküche und am Mittagstisch.
Einmal fand man sie unten an der Estrichtreppe liegen, Blandina hatte einen Stoss gespürt. Ein andermal wurde sie trotz der Aufsicht frühmorgens oben in der Hostienbäckerei aufgefunden. „Teufelswerk“, verkündeten die beiden Wärterinnen. Sie streuten das Wort wie Körner für hungrige Hühner unter die Mitschwestern, immer nur andeutungsweise, aber wirksam. – „Wie könnte die Arme sonst durch geschlossene Türen entweichen?“ Und weil nicht das Alltägliche anziehend ist, sondern vielmehr das Ausserordentliche, verstärkte sich der Glaube, dass Blandina besessen sein müsse.
„Der Teufel ist in sie gefahren“, Schwester Sakristanin flüsterte es einer redseligen Küchenmagd zu. „Wir brauchen eine neue Heilung, ein zweites Wunder!“
Die Wallfahrten zur Klosterkirche nahmen zu.
Blandina wollte den üblen Tee verweigern. „Schluck!“ hiess es hart. Die zwei liessen sie nicht mehr schlafen. Pausenlos hörte sie flüstern, ihr Unbewusstes nahm Sätze auf von Gott und Luzifer, von Sühne und Wallfahrt. – „Bittgänge zu Sankt Prosper, Bittgänge – alle Dörfer – Gott straft – Sankt Prosper wird nicht verehrt – der ob uns will Wallfahrt…“
Nach langem inneren Ringen war Pater Bonifaz mit der Teufelsaustreibung einverstanden. Sie sollte am Sonntag im Kapitelsaal stattfinden. Viele geistliche Herren hatten ihre Teilnahme angemeldet.
Gestern Abend war die Frau Mutter in Blandinas Zelle gekommen. Sie hatte die beiden Wärterinnen hinaus geschickt, Gott sei Dank! Vorher hatte Blandina lange auf dem Betstuhl gekniet. Die Oberin winkte sie auf das schmale Bett, sie selber setzte sich auf den Zellenstuhl. Die junge Nonne schob ihre roten Hände in die weiten Kuttenärmel, das war erlaubt.
„Du musst dich nicht fürchten, der Pater hat kräftige Gebete, er wird dich mit Gottes Hilfe vom Bösen befreien und gesund machen. Schon Morgen ist alles vorbei.“
Den Oberen gehorchen, und die Oberen gehorchen Gott.
Sie werden kommen, bald, man wird sie holen. Blandina steht neben der Zellentür und reibt sich die kalten Finger. Die Wärterinnen packen zu – der kalte Gang, sie halten sie fest, die Arme tun weh; sie sind böse, aber sie murmeln Gebete. Offen die Türe zum grossen Saal. Apollonia stösst Blandina hinein. Priester und Leute und Kerzen und Kreuz. Vor dem kleinen Tisch ein Stuhl, aber man lässt sie stehen. Das Raunen verstummt. In Blandinas Kopf beginnt ein grosses Sirren, es schwillt dröhnend an, nimmt sie gefangen, verfügt über sie. Der Schleier vor ihren Augen verdunkelt sich, wird schwarz.
Ein Aufschrei im Raum. – „Sie ist ohnmächtig! – Legt sie auf den Boden!“ – „Schnell, Weihwasser! Sie muss wach werden, sie muss aussagen können.“ – Blandinas Oberkörper wurde aufgestützt, man flösste ihr vom geweihten Wasser ein. – Den Oberen gehorchen, und die Oberen gehorchen Gott. – „Sühne, Busse“, flüsterte sie.
Blandina hörte Fragen, ihr vertraute Fragen, das monotone nächtliche Flüstern, wo kam es jetzt her? Der quälend eingeprägte Singsang, der vergangenen Nächte strömte aus ihr heraus: “Gott will Wallfahrt – hier – Sankt Prosper – muss verehrt – das ganze Land – Gottesstrafe – Sühne – Gott will Wallfahrt… Man gab Blandina wieder Weihwasser zu trinken. Das Kreuz berührte unsanft ihren Kopf. Hatte sie geträumt? Die Stimme befahl herrisch laut: „Steh auf!“
Blandina erhob sich, es war vorüber. Von weit her die Rufe: “Sie ist geheilt!“ – Nur ein junger Arzt fragte sich, ob es die Berufung des ausgetriebenen Teufels gewesen sein könnte, zur Sühne und zur Wallfahrt aufzufordern. Dass der Bischof die Wallfahrten dann verbot, gab seinen Zweifeln recht.
Die Oberin führte Blandina in ihre Zelle zurück. Kein grässlicher Tee mehr! Man liess sie in Ruhe. Die Erschöpfte fiel in einen langen, tiefen Schlaf.
Auf Anraten des Arztes gewährte die Oberin Blandina einige Wochen der Schonung. „Sie soll morgens länger schlafen“, verordnete er. „Dispensiert sie vom Chorgebet und Fasten und lasst sie im Garten arbeiten und ruhen, sie braucht viel frische Luft. Jeden Tag ein Glas Wein, das kräftigt. Daneben nur frisches Wasser!“
Blandina schlief jetzt traumlos. Die Last war weg. Auch in den Arbeitsschuhen schritt sie leichtfüssig zwischen den Gartenbeeten und summte froh. Jeden Tag durfte sie eine Stunde auf dem Klosterhügel ruhen und über die Mauern ins Weite blicken. Die Gedanken ordneten sich, wurden ihre eigenen. “Immer haben andere über mich entschieden, sonst wäre ich nicht hier – der Vater, die Tante, die Oberin, der Pater, die Hexen.
Will Gott die kalte Zelle, die aufgesprungenen Hände, die Flöhe, die Geissel? Will Gott mich hier im Kloster haben? Ich möchte in den Wald, an den Bach, an den See!”
Der Morgen erwachte mit den Kirchenglocken. Das hohe Klosterglöcklein bimmelte mit. Blandina wusste: Aufstehen, Chorgebet, Messe, Betrachtung, Morgenessen.
Ab heute nur für die andern hier, dachte sie entschlossen. Was tu’ ich da? – “Man hat ihr den Teufel austreiben müssen!” Das werden sie jetzt immer sagen, das würde ein Leben lang mitgehen. Neu-Eintretende würden es bald vernehmen. Klosterfamilie? Ich gehöre nicht zu ihnen. Genug der scheelen Blicke! – Gezeichnet bin ich. Oder auch gesegnet?
Blandina steht auf. Sie fühlt sich ausgeruht und frisch. Das Arbeitskleid, das Kopftuch, die Gartenschuhe! – Von der Kirche her das Kyrie.
“Ich bin Martha”, sagt sie, “ich kann rüsten und putzen und waschen.”
Sie geht durch den Gang, geht durch das grosse Tor, wirft es energisch zu, geht weg.